Grandes Jorasse (4.208 m) – Walkerpfeiler: Das Vorspiel…

Als mich Ende Juli mein Kumpel und Bergführerkollege Daniel Obererlacher anrief und nach dem üblichen Gequatsche fragte: „He, am Walkerpfeiler sein güate Verhältnisse, hosch Zeit?“ brauchte ich nicht viel Zeit zum Überlegen. Nach einigem Hin und Her haben wir uns auf eine passende Strategie geeinigt – „fast and light“ ohne Biwak an einem Tag durch und runter!

Gesagt, getan – einige Tage später stehen wir am späten Nachmittag bei gefühlten 40°C an der Talstation der Montenvers-Bahn und machen uns auf den Weg ins Abenteuer Walkerpfeiler. Pünktlich zum Abendessen erreichen wir die traumhaft gelegene Leschauxhütte und stellen zu unserer Verwunderung fest, dass morgen „nur“ 2 weitere Seilschaften in den Walkerpfeiler einsteigen möchten. Schnell noch den Wanst vollschlagen, den Zustieg über den Gletscher und den Routenverlauf auschecken,  die Rucksäcke packen und ab in die Federn.

Das Abenteuer beginnt…

Als um 1:00 der Wecker läutet, habe ich das Gefühl, dass ich mich erst vor ein paar Minuten schlafen gelegt habe… Das Frühstück will um diese Uhrzeit noch nicht so recht schmecken und wenig später steigen wir über die Leitern runter auf den Gletscher. Um halb 4 stehen wir an der Randspalte und die Kletterei beginnt. Am laufenden Seil geht’s über den „Vorbau“, Daniel findet trotz Dunkelheit ohne Probleme bis zum Fuß der Rebuffat-Verschneidung, die wir bei Tagesanbruch erreichen. Schnell die Bergschuhe gegen Kletterschuhe getauscht und los geht’s… Ich muss sagen, ich bin schon einfachere 6a’s geklettert 😉

 

Eine berühmte Seillänge folgt der anderen…

Die Sonne begleitet uns in der Querung zur 70m-Verschneidung, ehe sie hinter der Grandes Jorasses verschwindet. Die Kletterei in der 70m-Verschneidung ist echt genial, wenn nur nicht der Rucksack so schwer wäre… An alten Fixseilen queren wir zu den Schwarzen Platten, die sich übrigens für 5c auch nicht ganz geschenkt anfühlen. Schönlangsam spüren wir die Höhe und die gänzlich fehlende Akklimatisation (wozu auch Akklimatisieren).

Koffein sei Dank…

Nachdem auch die Grauen Platten hinter uns liegen, klettern wir wieder am laufenden Seil direkt an der Pfeilerkante, ehe wir am Beginn des Dreieckigen Firnfelds auf 2 Seilschaften auflaufen, die seit gestern in der Tour sind. Kletterschuhe ausziehen, Bergschuhe und Steigeisen an, schnell einen Riegel und ein Koffein-Gel eingeschmissen, und weiter geht’s. Daniel setzt zum Überholmanöver an und kurze Zeit später stehen wir am Fuße des Roten Kamins. Dieser gestaltet sich als sehr anspruchsvoll weil nass und vereist. Auch die Querung unterm Roten Turm und die folgenden Seillängen auf der Pfeilerkante klettern wir mit Steigeisen, und mittlerweile müssen wir nach ein paar Metern immer Rasten zum Schnaufen (wozu auch Akklimatisieren).

Endlich oben…

Nach 12h Klettern steigen wir um halb 4 über die Gipfelwechte und stehen ziemlich erledigt aber überglücklich auf der Pointe Walker. Wir genießen das noch verbliebene Wasser und die restlichen Riegel und Gels. Für einen Moment ist unsere Welt in Ordnung und die Freude an der gelungenen Tour riesengroß – doch der Blick nach unten lässt nichts Gutes erahnen. Der Abstieg auf die Südseite ist bekanntlich nicht ganz banal und auch nicht ganz schnell erledigt.

Alles super, wenn da nicht der Abstieg wär…

Nach über 3h Abklettern, Queren, Abseilen und Hatschen erreichen wir die Boccalatte-Hütte, wo uns Franco, der Wirt, mit Bier und Pasta wieder aufpäppelt. Am nächsten Tag geht’s runter ins Val Veny und von dort per Bus zurück nach Chamonix und ab nach Hause…

Rückblick…

Alles in Allem eine beeindruckende Tour durch eine imposante Wand, ein großer Traum der in Erfüllung gegangen ist! Hut ab vor Riccardo Cassin und Gefährten, welche den Walkerpfeiler vor genau 80 Jahren erstbestiegen haben. Wenn man bedenkt, mit welcher Ausrüstung Cassin & Co damals unterwegs waren, einfach beeindruckend.

Christian „Hechei“ Hechenberger